Untersuchungspfade

a. Unternehmensplanspiel/Ökonomie

b. Computerisierung

c. (Unterhaltungs-)Spiel

d. Unternehmensgeschichte

Zunächst wird die historisch-genealogische Perspektive des UPS zu bearbeiten sein, verbunden mit der Geschichte militärischer Simulations-, Plan- und Kriegsbrettspiele, genauso wie Verbindungen zu Operations Research (OR), das Entstehen der Beraterkultur und der parallel zum Planspiel aufkommenden, zumeist ausgegliederten Beratung und Schulung von Führungspersonal. Die den UPS zugrunde liegende Logik und Mechanik ist eine zutiefst regel-rationalistische. In der frühen Phase dieser Spiele scheint beispielsweise der Zufall kaum Raum zu haben. [3] Wie passt das UPS als Spiel daher zur vorherrschenden Steuerungslogik, die einem rationalen Paradigma der Beherrschbarkeit, Operationalisierbarkeit und Berechenbarkeit zu entsprechen scheint? Das Spiel als Probehandeln, beziehungsweise der probehandelnde Vorvollzug unternehmerischen Handelns im Spiel, ist ein Raum von Optionalität und Operativität, von Regelhaftigkeit und Variation, von kalkulatorischer Finesse und komplexer Prozessualität. Es wird in Form des Unternehmensplanspiels und weitergehend im Paradigma der (Unternehmens-)Simulation zu einem entscheidenden Werkzeug, um Komplexität zu modellieren, den Zufall zu regulieren und neue Steuerungsmodelle zu entwickeln. Insgesamt wäre nach den Konturen jenes Wechsels von einer mechanischen zu einer ludischen Rationalität zu fragen, der sich im UPS materialisiert.

Hier wäre wiederum einzuteilen in eine diachrone Perspektive, die die Genese eines aktuellen Rationalitätsbegriffs untersucht, und eine synchrone Perspektive, die danach fragt, wo sich im Untersuchungszeitraum dieser Rationalitätsbegriff paradigmatisch artikuliert, der sich historisch-genealogisch herleiten und anhand der Entstehungsphase der UPS rekonstruieren lässt. Ebenso soll es dabei um spezifische Rationalitätstypen gehen, wie sie durch andere dispositive und diskursive Felder als Angebot zur Subjektapplikation unterbreitet werden: Angedacht ist hier beispielsweise der Rationalitätstypus des Ludischen (Homo ludens und/vs. mathematische Spiel­theorie), oder spezifische Rationalitätstypen des Medialen/des Computers (Entscheidungslogik, Berechenbarkeitsphantasien, Datenbank-/Abfragelogik, Regelkreislogik und kybernetisches Paradigma, Baum-Narrationen und so fort.)

Der Gegenstand der Unternehmensplanspiele ist hier in mehrfacher Hinsicht von entscheidender Bedeutung, insofern hier Entscheidungslogiken, Modellierungen von Komplexität und (ökonomische) Rationalität aufeinandertreffen und sich dispositiv verschränken. Gerade hier, an der Schnittstelle von analytischer Konzeptualisierung und prognostisch-konkretistischer Überformung scheint sich der Untersuchungsgegenstand UPS mit an der Herausbildung eines ›neuen Rationalitätstypus‹ zu positionieren. Einerseits setzt das UPS ab den 1960er Jahren Ansätze und Erkenntnisse aktueller ökonomischer Paradigmen als Spielmechanik um, andererseits wird das UPS eingesetzt als eine prognostische und ›Subjekt-adaptive‹ Diskursmaschine, deren (Haupt-)Zweck es sein soll, das unternehmerische Subjekt an die zugrunde gelegten Wirkungsparadigmen zu adaptieren – ähnlich wie dies Bröckling für die Konstitution des »unternehmerischen Selbst« (Bröckling 2007) treffend charakterisiert hat.

Die Entstehung des UPS steht zudem mit Veränderungen in der ökonomischen Theoriebildung und allgemeinen Konzeptualisierung von Wirtschaftsrationalität in Zusammenhang. Es ist davon auszugehen, dass der epistemologische Bruch im Übergang zur modernen, axiomatischen Wirtschaftstheorie das UPS als Managementinstrument und zur Entscheidungsfindung überhaupt erst ermöglicht hat (vgl. Hesse 2010). Drei Entwicklungslinien im Strukturwandel der Wirtschaftswissenschaft sind dabei für den Projektkontext von besonderem Interesse:

  1. Im Rahmen der sogenannten Keynesianischen Revolution wurden in den 1930er Jahren die klassisch-neoklassischen Vorstellungen eines Marktausgleichs über den Preismechanismus durch eine Funktionsbeschreibung der Gesamtwirtschaft ersetzt (Makroökonomie), welche als ein kybernetisches Steuerungsmodell konzipiert war.
  2. Wurden ökonomische Analysen seit den 1920er Jahren zunehmend mit empirischen Fakten angereichert.
  3. Der Zweite Weltkrieg bewirkte eine erhebliche Beschleunigung der ersten beiden Entwicklungen, das haben Adam Tooze (2007) für Deutschland und Philip Mirowski (2002) für die USA gezeigt. Während in beiden Kriegswirtschaften die Märkte als Steuerungsinstrumente immer mehr außer Kraft gesetzt wurden, gingen Wirtschaftstheorie, Ingenieurwissenschaft und Mathematik eine neue Verbindung ein, um das Steuerungsdefizit zu lösen. Das Ergebnis war der neue Forschungszweig der Operations Research. Sie stellt die Übertragung von Arbeitsabläufen in komplexe mathematische Modelle dar, mithin die Abbildung von Waren- und Leistungsströmen zum Zwecke der Steuerung. Mit dem Kriegsende und dem schrittweisen Wiedereinsetzen der Märkte in die Steuerungsfunktionen moderner Wirtschaften ging das auf diese Weise gewonnene Wissen über Steuerungsmöglichkeiten von großtechnischen Systemen in das Wissen der Unternehmensleitungen über. Dieser Prozess dürfte die Grundlage für die Möglichkeit von UPS als Instrumente moderner Unternehmensführung gewesen sein.

Die Geschichtsschreibung der Wirtschaftswissenschaft steht derzeit noch in den Anfängen, um diese Transformationsprozesse des Faches nach dem Zweiten Weltkrieg zu untersuchen (vgl. Mirowski 2002, Hesse 2010). Während die Marktwirtschaft nach dem Auslaufen der kriegsbedingten Bewirtschaftung in die Bundesrepublik zurückkehrte, wurden die neuen ökonomischen Steuerungstechniken in den zugleich stark expandierenden westdeutschen Unternehmen immer intensiver verwendet. Innerhalb der Wirtschaftswissenschaften spaltete sich zugleich mit der ökonomischen Spieltheorie Oskar Morgensterns und John von Neumanns ein eigenes Paradigma vom ökonomischen Mainstream ab, das die Kritik an der neoklassischen Mikroökonomie der 1930er Jahre zu deren umfassenden Rettung nutzte, indem man sie auf der Grundlage einer Ungleichgewichtstheorie neu konzipierte. Es entwickelte sich hieraus im Verlauf der 1950er Jahre die Experimentelle Ökonomik, deren praktische Anwendung anfänglich eben nicht im Bereich des Konsums, sondern der Unternehmerentscheidung lag.

 

[3] Eine Ausnahme bilden die stochastischen UPS, die vereinzelt angeführt werden (vgl. bspw. Hartl-Prager 1972). Dennoch wäre hier natürlich noch einmal zwischen Zufall und Wahrscheinlichkeit zu trennen.