Unternehmensplanspiele sind Kulturtechniken, die an einem bedeutenden Umbruch in der Steuerungslogik unserer Gesellschaft entstehen – im Zusammenspiel einer spezifischen Konstellation aus Wirtschaft, Informatik, Medien und Gesellschaft. Planspiele, die auch als Simulations- und Lernsysteme bezeichnet werden, bilden einen Ausschnitt aus der ökonomischen, politischen oder sozialen Wirklichkeit ab. Sie werden zu einer charakteristischen Praktik fortgeschrittener Industriegesellschaften. An ihnen können grundlegende Veränderungen nachvollzogen werden, welche Vorstellungen von Rationalität genauso betreffen wie ökonomische Leitparadigmen, arbeitswissenschaftliche Verfahren oder Subjekttechnologien. Unternehmensplanspiele (UPS) enthalten vor allem Modelle zu wirtschaftlichen Zusammenhängen. Im Folgenden werden insbesondere UPS betrachtet, wie sie sich spezifisch nach dem Zweiten Weltkrieg herausbilden.[1]
Das Forschungsprojekt wird erstmals eine systematische Erschließung von UPS aus medien- und kulturwissenschaftlicher Perspektive vornehmen. Die Untersuchung versteht sich dabei als Beitrag zur Computerspielforschung (Game Studies) und ist dort dem Segment der ›Serious Games‹[2] zuzurechnen. In der Computerspielforschung stellt die Analyse und Reflexion von UPS eine Erweiterung herkömmlicher Forschungsperspektiven dar, die in der Vergangenheit vor allem durch die Auseinandersetzung mit kommerziellen Unterhaltungsspielen geprägt waren. Darüber hinaus liefern die geplante Erfassung von Firmenarchiven und die Einordnung von UPS in die bundesdeutsche Wirtschaftsgeschichte wichtige wirtschaftshistorische Erkenntnisse.
Unternehmensplanspiele werden seit den 1950er Jahren im Bereich der Aus- und Weiterbildung, der operationalen Unternehmensführung und der (wirtschafts-)wissenschaftlichen Forschung verwendet. Einen Überblick über die einschlägigen Untersuchungen zur Verbreitung von Business Simulations geben Faria et al. (2009). Demnach werden in den USA bereits 1961 mehr als 100, 1969 mehr als 190 und 1980 mehr als 228 derartiger Simulationen in der Fachliteratur erfasst. Kibbee, Craft und Nanus (1961) gehen davon aus, dass 1961 mehr als 30.000 Führungskräfte in den USA Business Simulations gespielt haben.
Als Lernsysteme importieren sie von Beginn an Konzepte aus Psychologie, Soziologie und Kulturanthropologie, während mediengeschichtlich die Entwicklung und Verbreitung von UPS eng mit der Geschichte der Computerisierung verbunden ist. So gehören die computergestützten UPS der American Management Association (1956) nach dem Zweiten Weltkrieg zu den frühesten (nicht-militärischen) Computerspielen überhaupt.
Obwohl die internationale Forschung zu UPS seit den 1970er Jahren institutionell stark entwickelt ist und eine Vielzahl von Einzelstudien vorliegen, hat eine an wissensgeschichtlichen sowie medien- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen ausgerichtete Forschung zu UPS erst in den letzten Jahren eingesetzt. Im Vordergrund des beantragten Projekts stehen vor allem Fragen nach Veränderungen von Rationalitäten und Steuerungslogiken, des Weiteren die Aufwertung des Spielbegriffs und der Spieltheorie im Bezug auf die Modelltheorie sowie Perspektivierungen von Medialität, insbesondere die Rolle des Computers.
Wissenschaftshistorische Forschungen zur Geschichte der Kybernetik, wie sie in Deutschland insbesondere durch Claus Pias vorangetrieben worden sind (Pias 2004, aber bspw. auch Aumann 2009), bestätigen die historische und diskursgeschichtliche Relevanz der UPS als Bestandteil eines wissenshistorischen Umbruchs. Die Entstehung des Unternehmensplanspiels, so lässt sich eine zentrale These dieser Forschung zusammenfassen, ist einerseits nur als Ergebnis der Verschränkung einer Vielzahl unterschiedlicher Diskurse und Technologien zu verstehen (Operations Research (OR), Informatik, Mathematik, wissenschaftliche Betriebsführung, Kybernetik, militärisches Planspiel, und andere) (Pias 2002), und ist andererseits ideengeschichtlich mit der Utopie umfassender Steuerbarkeit verbunden, wie sie als charakteristisch für den Begründungsdiskurs der Kybernetik angesehen werden kann (Beer 1963, Pircher 2004, Pircher 2008).
Darüber hinaus wird ein ähnlicher Wendepunkt in Studien zur Geschichte der Wirtschaftswissenschaft thematisiert. So sieht Philip Mirowski (2002) in der in den 1940er Jahren entwickelten ökonomischen Spieltheorie letztlich einen epistemologischen Bruch in der Entwicklung der Disziplin, die sich seitdem einer modellorientierten »Cyborg Science« zuwandte, in der spontane Konsumentscheidungen keine Bedeutung mehr hätten. Von hier ausgehend entwickelte sich die Experimentelle Ökonomik allmählich zu einem zentralen Forschungsfeld der modernen Wirtschaftstheorie. In welcher Weise der epistemologische Bruch der Wirtschaftstheorie zugleich die moderne Unternehmensführung beeinflusste, ist bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Für die Bundesrepublik liegen immerhin vereinzelte Erkenntnisse vor, dass bereits in den 1950er Jahren nach Anwendungsmöglichkeiten für die formalisierten Modelle der OR für die Unternehmenssteuerung gesucht wurde (Hesse 2010).
Darstellungen, die sich im engeren Sinne mit der Geschichte der UPS befassen, konzentrieren sich dagegen bisher auf den angloamerikanischen Raum (exemplarisch Wolfe 1993, Faria et al. 2009). Für eine materialorientierte Erschließung der wichtigen Phase der Einführung und ersten Popularisierung von UPS in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg können jedoch insbesondere die Übersichten von Rohn (1964, 1986, 1988) als Ausgangspunkt für weitere Recherchen herangezogen werden. Obwohl die grundsätzliche Relevanz von UPS in der Forschung anerkannt wird, als herausgehobene Manifestationen spezifischer Diskurs- und Wissensformationen, als Lehr-Lernumgebung und als Bestandteil wirtschaftlicher Dynamisierungs- und Modernisierungsbemühungen, liegen bisher keine medien- und kulturwissenschaftlichen Studien vor, die diese Spielformen ins Zentrum stellen.
[1] Im angloamerikanischen Raum werden derartige Spiele unter anderem als Management Game, Business Game, Executive Game, Management Decision Game oder allgemein als Business Simulation bezeichnet.
[2] Als ›Serious Games‹ werden Spielformen bezeichnet, die nicht primär für die Unterhaltung verwendet werden, sondern beispielsweise für Trainings- und Ausbildungszwecke im Rahmen von Wirtschafts- oder Militärsimulationen oder im Bereich wissenschaftlicher Heuristik.