Das Projekt will für die kultur- und medienwissenschaftliche Forschung einen substantiellen Beitrag zum Verständnis von Unternehmensplanspielen als einer wichtigen Spielform fortgeschrittener Industriegesellschaften leisten. Da bisher noch kaum Studien zur Geschichte der UPS vorliegen, ist hier ein weitgehend unerforschtes Feld zu erschließen. Getragen werden soll diese Untersuchung durch eine ausführliche Ebene der Rekonstruktion von ausgewählten UPS und einer Recherche zur Unternehmensgeschichte. Anhand einer materialorientierten Analyse sollen erstmals der Bestand in historischen Firmenarchiven und die Verbindung mit der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte untersucht werden. Damit legt das Projekt maßgebliche Grundlagen für den wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Zugriff auf den Gegenstand Unternehmensplanspiel.
Das UPS wird als eine ›Verdichtung‹ begriffen, die verschiedene diskursive und dispositive Konstellationen vereint. Diese durchlaufen im 20. Jahrhundert in unterschiedlicher Weise Veränderungen. Die Neukonturierung der Selbstpolitik, als Adjustierung an spezifische Rationalitäts- und Mediendispositive, beginnt dabei an der Schnittstelle von Ökonomie, Informatik, Gesellschaft und Spiel: in der Ökonomie mit der aufkommenden Beratung und Schulung von Führungspersonal, in der Informatik mit der beginnenden Computerisierung der Industrie und den Paradigmen der Kybernetik, in der Gesellschaft mit veränderten Rationalitäts-, Subjekt- und Ökonomiediskursen sowie im Spiel, als ein herausgehobenes Beispiel für die Potentialität des Computers. Diese Veränderungen schlagen sich ebenfalls in der erweiterten funktionalen Operationalisierung des Spiels nieder und lassen sich damit am Gegenstand UPS beispielhaft darstellen. Um dem UPS auch in seiner Kontur als wirtschaftswissenschaftlichem und betriebswirtschaftlichem Objekt gerecht zu werden, ist zudem eine Betrachtung aus unternehmenshistorischer und ökonomietheoretischer Perspektive unumgänglich.
Der Untersuchungszeitraum ist auf 1950 bis 1970 festgelegt. Dieser hat sich in der Vorstudie als sinnvoll handhabbarer und ausschlaggebender Zeitraum der Entstehungs- und Ausdifferenzierungsgeschichte des UPS gezeigt. Der vorrangig nationale Zugriff mit dem Schwerpunkt BRD ist eine sinnvolle Einschränkung, die eine Durchführbarkeit des Projekts sicherstellen soll. Ein Exkurs in die UPS-Geschichte des angloamerikanischen Raums ist aber zum Verständnis zwingend. Eine Abgrenzung zum Unterhaltungsspiel begründet sich aus dessen ›Nachgängigkeit‹ zum UPS: Unterhaltungsspiele reflektieren oftmals Paradigmen des UPS und anderer Simulationsumgebungen und sind damit als sekundärer Reflex auf den primären Erkenntnisgegenstand zu betrachten. Das Projekt beginnt daher mit dem UPS, erhofft sich aber genauso Aufschlüsse über das weite Feld des Unterhaltungsspiels.
Im Zentrum des Projekts steht die Entwicklung eines Modells, anhand dessen die Verschränkung von Ökonomie, Informatik, Spiel und Gesellschaft im UPS näher analysiert und erklärt werden kann. Die Erstellung des Modells wird durch folgende forschungsleitende Fragen motiviert:
Vorausgehend und begleitend zur Modellbildung werden weitere Forschungsziele angestrebt:
Der genuin medien- und kulturwissenschaftliche Zugriff des Projekts legitimiert sich in der Annahme, dass innerhalb des Untersuchungszeitraums und speziell am Gegenstand UPS eine spezifische Verbindung von ökonomischen, politischen, kulturellen und technischen Fragestellungen aufgezeigt werden kann. Im Blickpunkt steht hier die enge Verzahnung von Rationalitäts- und Steuerungsdispositiven der Wirtschaft mit dem medial-apparativ verfassten Informations- und Modellbegriff der fortschreitenden Computerisierung. Über seine historische Ausrichtung berührt das Projekt somit den Kern der medienwissenschaftlichen Debatte zwischen technikdeterministischen und anthropozentrischen (›symptom approach‹) Theorien der Medienentwicklung (vgl. Winkler 1999). Insbesondere hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte des Computers lassen sich so weitergehende Erkenntnisse für das Verständnis einer beginnenden Umformung des Medienbegriffs im Untersuchungszeitraum erwarten. Grundlegende These ist hier, dass sich zwischen den 1950er bis 1970er Jahren das Verständnis des Computers als Medium – im Sinne einer Kulturtechnik und im Gegensatz zur schlicht funktional gefassten ›Rechenmaschine‹ – etabliert und hiermit weitergehende Verschiebungen der gesellschaftlichen Anforderungen an und Vorstellungen von Medien einhergehen. Das UPS erscheint als privilegierter Gegenstand, an dem sich die wechselseitige Verschränkung von Diskursen technischer Machbarkeit und gesellschaftlichen Bedürfnisstrukturen nachvollziehen lässt.
Innerhalb der UPS verknüpfen sich unterschiedliche Erwartungen mit dem Einsatz des Computers: So besteht die Hoffnung, mittels der Integration von Computern die »realitätsnahe Komplexität« (Cohen/Rhenman, 1974 [1961], 17) von UPS zu erhöhen, während gleichzeitig die »Spannung des Spiels« (ebd.) gesteigert werden könne. Die Frage nach der Entstehung der UPS verbindet sich hier unweigerlich mit der Frage nach den Bedingungen unter denen der Computer seinen festen Platz in der Unternehmensplanung und -kultur erobern konnte und verspricht weiterführende Erkenntnisse über die »Wunschkonstellationen« (Winkler 1997) – die gesellschaftlichen Hoffnungen und Utopien –, die der Ausweitung der Computerisierung zugrunde liegen.
Ein Schnittpunkt zwischen Medien- und Ökonomietheorie liegt insbesondere im Begriff der ›Information‹. Philip Mirowski (2002), ebenso wie der Antragsteller Hesse (2006), beschreibt für die Zeit ab den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts einen Wandel im Verständnis von Ökonomie als statischer Zuteilung endlicher Ressourcen hin zu einer Ökonomie in deren Zentrum Fragen des ›Informationsmanagements‹ stehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bedingt durch eine Verknüpfung von ökonomischen mit physikalischen Theoremen (Thermodynamik) sowie als Reaktion auf ›externe‹ Krisen wie die Depression oder Ölkrise (Hesse 2006) schlägt sich dieser Wandel in der Herausforderung neoklassischer Theorie durch eine cyborg science nieder (Mirowski 2002, 18f.). In deren Zentrum steht wiederum der Computer als ›paradigmatisches Objekt‹, mit dem vom Informationsmanagement bis hin zur reinen technologischen Materialität alle Bereiche der Wirtschaft umfasst werden können – und das zugleich prägend für ein Verständnis ökonomischer Akteure als ›Prozessoren von Information‹ (ebd., 7) ist. Das UPS stellt diesbezüglich, so eine weiterführende These, ein Vehikel dar, über das die Aneignung des neuen Mediums Computer – und die mit diesem verbundene Neuformierung ökonomischer Rationalität – durch ›unternehmerische Subjekte‹ (Bröckling 2007) spielerisch erlernt und schließlich naturalisiert werden kann.
Der Gegenstand UPS erscheint in dieser Perspektive als ›diskursive Verdichtung‹, deren Betrachtung eine Engführung diverser theoretischer Ansätze und Analysen paralleler Argumentation verlangt und ermöglicht. So deutet beispielsweise Mirowskis Terminus der cyborg sciences, die unter anderem durch eine Auflösung der klaren Trennung von Natur und Sozialem sowie von Realität und Simulation gekennzeichnet sind, die Möglichkeit an, die Rolle des Computers als spezifischem Artefakt mit dem analytischen Instrumentarium der Akteur-Netzwerk-Theorie zu betrachten. Über die Interdisziplinarität des Forschungsprojekts lassen sich in einer doppelten Bewegung sowohl Ergebnisse zu Fragen der Verflechtung von Computerentwicklung mit ökonomischen Paradigmen erwarten als auch zu der koevolutionären Beziehung von Technik- und Gesellschaftsentwicklung. Die Untersuchung dieses historisch-archäologischen Knotenpunkts verspricht zudem eine Übertragbarkeit auf zeitgenössische Zusammenhänge.